Montag, Dezember 18, 2006

Geburtstagsbrief an meinen Sohn

Lieber Sohn,

gestern bist du vier Jahre alt geworden. Wie du mir heute auf dem Weg zum Kindergarten erzählt hast, bedeutet das, dass du jetzt viel größer bist und alles besser kannst. Ich hoffe, dass du darin nicht enttäuscht wirst. Auf diesen Geburtstag hast du tatsächlich ein ganzes Jahr gewartet. Letztes Jahr nach deinem dritten Geburtstag hast du gesagt, du wolltest einen Kindergeburtstag, und wir haben dir versprochen, wenn du vier wirst, darfst du deine Freunde einladen. So war der gestrige Tag etwas überwältigend, nachdem erst Freitag die große Weihnachtsfeier war, bei der du im Theaterstück einen Tannenbaum gespielt hast. (Und ich war so stolz auf dich, wie du all die anderen Tannenbäume über die Bühne geführt hast, wie du deinen erstaunlich vielen Text vorgetragen hast, obwohl du heiser warst, und wie du danach als einer der ersten auf das Buffet zugestürmt bist und dich mit Essen und Trinken versorgt hast, bevor deine Eltern auch nur den Raum betreten haben. Du bist eben der Sohn deiner Mutter.)

Du hast gestern mal wieder eine riesige Menge Geschenke bekommen, obwohl wir versucht haben, es klein zu halten. Das hat dich nicht daran gehindert, den restlichen Tag über immer wieder zu fragen, ob du noch ein Geschenk bekommst. Warte noch ein bisschen, nächste Woche geht alles von vorne los.

Im letzten Jahr ist eine Menge passiert. Zu deinem letzten Geburtstag haben wir noch gesagt, dass du wenn du weiter so gerne Schlagzeug spielen willst, mit vier ein Schlagzeug und Unterricht bekommst, aber obwohl du wochenlang jeden Tag "Sticktechnik" geübt hast, ist dein Interesse daran etwas verblasst. Stattdessen hast du monatelang fantasievolle Gebilde aus Lego gebaut und dann vor ein paar Wochen angefangen, jeden Tag stundenlang zu malen und zu basteln.

Seit Februar bist du im Kindergarten, erst nur nachmittags und seit Anfang des Monats fast den ganzen Tag. Es geht dir sehr gut dort, wir lieben den Kindergarten, und du hast viele neue Freunde gewonnen. Die Erzieherin sagte zu mir, du seist ein tolles Kind, sehr sprachbegabt und intelligent, du würdest schön mit den anderen spielen und wenn es dir zu viel würde, gingest du weg und spieltest alleine. Als wir vor zwei Wochen bei deiner Vorsorgeuntersuchung waren, hat mich die Kinderärztin angestrahlt und betont, was für eine Freude es sei, dich zu untersuchen, wie sprachbegabt und intelligent du seist, wie brav und aufgeweckt, wie schön du den Stift beim Malen hältst, sie war voll des Lobes.

Ich beneide dich ein bisschen um die Leichtigkeit, mit der du andere Leute für dich einnimmst. Schon als Baby waren alle Fremden von dir entzückt. Deine unangenehmeren Seiten lässt du nur Zuhause raus. Wir beide geraten dabei immer wieder aneinander. Wir waren alle zwei in den letzten Monaten immer wieder regelrecht verzweifelt, weil wir uns so viel gestritten haben. Kein Tag verging, ohne dass wir beide uns angeschrieen haben. Glücklicherweise wird es langsam besser. Wir werden beide vernünftiger und geduldiger und es hilft, dass du jetzt durch den langen Tag im Kindergarten auch richtig ausgelastet bist.

Letztes Jahr um diese Zeit hast du noch einen Mittagsschlaf gemacht, wenn auch sehr widerstrebend, und seit ein paar Wochen brauchst du überhaupt gar keine Windeln mehr. Du bist wirklich ein großes Stück gewachsen; 5 Zentimeter größer und 2 Kilo schwerer als letztes Jahr. Im Frühjahr hattest du eine Mittelohr-Entzündung nach der anderen, hast aber glücklicherweise keine Antibiotika gebraucht. Seit Ende Mai kannst du Laufrad fahren und im Frühjahr werden wir die Pedale an das Rad bauen lassen, damit du richtig Fahrrad fahren kannst. Im Frühsommer hast du dir den Schnuller abgewöhnt. Du hast dich noch stärker für das Schreiben interessiert und von selber gemerkt, dass man, wenn man die Buchstaben O, A und M schreiben kann, das Wort OMA bilden kann.

Du liebst weiterhin Bücher und fängst langsam an, dich auch für Geschichten und nicht nur für Sachbücher zu erwärmen. Ein großes Thema im letzten Jahr waren Astronauten und Raumfahrt. Wochenlang wolltest du fast jeden Tag die Bilder von der Gemini-Mission und der Mondlandung anschauen, die dein Vater auf Video hat. Das Video ist mit Rockmusik aus den sechziger Jahren unterlegt und du singst immer wieder Dinge vor dich hin wie: "She's got a ticket to wear." Tatsächlich hast du angefangen, im Kindergarten auch Englisch zu lernen, aber dort seid ihr noch nicht über "What is your name?" und die Namen einiger Farben und Tiere hinaus gekommen.

Mein lieber Sohn, ich freue mich jeden Tag über dich und vermisse dich immer, wenn ich dich länger als eine Stunde nicht gesehen habe. Du bist sprachgewandt, intelligent, charmant und selbstbewusst. Du hast eine blühende Fantasie, die ich fast für selbstverständlich genommen hätte, weil ich dachte, jeder sei so, aber ich habe inzwischen kleine Jungs kennen gelernt, die ihre Tage damit verbringen, Autos hin und her zu schieben und "Brumm, brumm." zu machen. Jungs, die nicht aufwachen und sagen: "Ich bin ein Astronaut. Ich muss heute mit meiner Rakete zum Mond fliegen." oder "Ich bin ein Pinguin. Das ist das Wasser. Der Teddy ist eine Eisbär. Jetzt werde ich unter einem Felsen begraben. Rette mich Teddy!"

Jedes Mal, wenn mir jemand sagt, ich solle wie ein Kind im Moment leben und das Denken lassen, muss ich an dich denken. Schon als du ein kleines Baby warst, konnte man deinen Verstand arbeiten sehen. Einen Tag vor deinem Geburtstag hast du zu mir gesagt: "Morgen ist mein zweiter Geburtstag." Ich: "Nein, dein vierter." Obwohl du in gewisser Weise recht hattest, denn das war der zweite, den du wirklich bewusst erlebt hast. Dann hast du überlegt, an deinen Fingern gezählt und gesagt: "Nein, das ist mein dritter." Ich: "Nein, dein vierter." Wir haben uns darüber schon wieder gestritten und dann habe ich gesagt: "Wenn man geboren wird, dann ist man noch nicht ein Jahr alt. Erst nach einem Jahr wird man eins und dann ist das der erste Geburtstag. Dann der zweite, dann der dritte und dann der vierte." Du hast noch ein bisschen darauf bestanden, dass das aber dein dritter Geburtstag ist, dann hast du dein Hirn eingeschaltet, noch mal an deinen Fingern abgezählt und gesagt: "Nein, morgen ist mein vierter Geburtstag."

Teddy ist immer noch dein bester Freund, aber inzwischen teilst du dein Bett mit Dutzenden von Stofftieren. Jedes Mal, wenn ich das Gefühl habe, eventuell keine so gute Mutter zu sein, schaue ich dich an und merke, dass ich nicht viel verkehrt gemacht haben kann. Ich bin gespannt, was uns das nächste Jahr bringt,

deine dich liebende Mutter.

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