Sonntag, Februar 25, 2007

Wie man sein Kind nicht zu einem schlechten Esser macht

Wisst ihr, ich schreibe diese Überschriften nur, damit viele, viele Leute mich durch Suchmaschinen finden. Weil ich ganz genau weiß, dass es keine narrensichere Methode für irgend etwas Kindererziehung betreffendes gibt. Auf der anderen Seite bin ich es ein bisschen müde, all diese Mutter sagen zu hören: "Aber sie mag gar nichts. Wenn ich ihr nicht ausschließlich [hier Nahrungsmittel deiner Wahl einfügen] wird sie sicher verhungern."

Was ich sehr stark bezweifle. Die meisten Kinder haben genug Überlebensinstinkt, dass sie nicht vor einem vollen Teller verhungern. Wie die weise Moxie immer sagt, ist Essen eine der wenigen Sachen, die Kinder selber kontrollieren können. Je wichtiger es für dich ist, desto wahrscheinlicher hast du einen Machtkampf. Also erzähle ich jetzt, was wir gemacht haben. Und unser Sohn ist absolut alles. Als er etwa neun Monate alt war, fingen wir an, ihm etwas von dem Essen zu geben, das wir essen. Als er älter war als ein Jahr, bekam er alles, was wir essen. Wir haben genauso weiter gekocht, wie vorher, haben allerdings herausgefunden, dass sehr scharfes Essen für seinen wunden Po verantwortlich war und haben die Schärfe etwas reduziert.

Wir machen folgendes: Wir setzen uns zum Essen hin und jeder bekommt einen Teller mit der Mahlzeit des Tages. Mit allem davon. Dann isst mein Sohn. Wenn klar ist, dass er fertig ist, wird der Rest weggeworfen. Falls er sich dazu entschließt, nicht zu essen, ist das auch in Ordnung. Aber das war's dann. Nichts anderes und nichts zu essen bis zur nächsten Zwischenmahlzeit. Basta. Wenn er beschließt, dass er keinen Spargel möchte, dann muss er eben nur Kartoffeln essen. Das nächste Mal, wenn wir Spargel haben, wird wieder Spargel auf seinem Teller sein. Interessanterweise beschließt er dann oft, genau das Essen, das er vorher verschmäht hat, zu essen und dieses Mal die Kartoffeln links liegen zu lassen.

Es hilft auch, dass wir alles essen. Wir alle wissen, dass Kinder mehr durch Imitation als durch Reden lernen, oder? Und ich muss vielleicht dazu anmerken, dass ich als Kind ein sehr heikler Esser war. Und um ehrlich zu sein, mag ich immer noch keine Erdbeeren und rohen Tomaten. Obwohl ich dagegen nicht allergisch bin. Wenn ich also zu Hause bin, esse ich sie nicht - meistens. Wenn ich bei jemand anderem bin und derjenige mir Erdbeerkuchen anbietet, sage ich danke, lächele und esse Erdbeerkuchen. Ich komme aus einer Familie heikler Esser. Mein Vater isst nicht: Reis, Nudeln, Geflügel, Fisch, Innereien und mit Käse überbackene Aufläufe. Meine Mutter mag keine breiigen Speisen, Hülsenfrüchte, alles was einen starken Geschmack hat (wie Brie) oder das würzig oder scharf ist. Meine Schwester ist Vegetarierin und isst keine Auberginen, Paprika, Pilze, Zucchini und noch einiges anderes. Zusätzlich zu den Erdbeeren und rohen Tomaten war auch ich zwischen meinem 18. und 29. Lebensjahr Vegetarierin und mochte keinen Sellerie.

Stellt euch mal vor, ihr müsstet für diese Familie kochen. Man kocht etwas wie Spaghetti bolognese und es endet damit, dass man noch Kartoffeln für meinen Vater macht und die beiden Kinder dann Nudeln mit Ketchup essen. Oder man macht etwas wie Bohnensuppe und hat drei Leute, die Bohnensuppe essen (vegetarische Bohnensuppe) und eine Person, die Reste von gestern isst. Mein Vater mag nicht gerne vegetarisch essen, wenn meine Mutter Fisch wollte, musste sie für den Rest der Familie etwas anderes kochen, es konnte einem den Spaß am Kochen restlos nehmen. Interessanterweise essen auch die Leute, die bestimmte Nahrungsmittel nicht mögen, sie oft, wenn sie anderes zubereitet werden. Diejenige, die keine Paprika mag, isst Gemüsekuchen mit Paprika; der, der kein Huhn mag, isst in Indien jeden Tag Tandoori-Huhn, das ist alles sehr mysteriös. Und jeder einzelne von ihnen wird auf jeden Fall alles probieren, was mein Mann gekocht hat, weil er ein so fabelhafter Koch ist.

Als ich nach Bayern gezogen bin und anfing, alleine zu leben, hatte ich das Gefühl von kulinarischem Abenteuer. Neue Nudelsorten! Auberginen! Griechischer Schafskäse! Französischer Käse! Wow! Dann fuhren wir im Urlaub nach Italien, die ganze Familie und alles war so unglaublich lecker, dass ich es aufgab, Vegetarierin zu sein und wieder Fleisch und Fisch aß. Man muss sich nur mal vorstellen, von der gesamten Speisekarte wählen zu können! Wenn man in ein traditionelles deutsches Restaurant geht und Vegetarier ist, hat man nur ungefähr zwei oder drei Dinge zur Auswahl: Gemüse mit Spiegelei, Kasspatzen und Semmelknödel mit Pilzen (nicht streng vegetarisch, weil es mit Brühe gemacht wird). Vor allem in Bayern findet man auch immer wieder Schinkenstücke im Gemüse, weil es ansonsten nicht genießbar zu sein scheint. Nach zehn Jahren mit dieser Auswahl fing ich an, wirklich alles zu essen. Ich kostete Gerichte, die ich noch nie zuvor gegessen hatte, Meeresfrüchte, exotische Gemüse (Knoblauch!), Käse aus aller Welt, italienische Salami, Kichererbsen, indisches Essen, griechisches Essen, thailändisches Essen... Fantastisch.

Mein Mann ist nicht nur ein fabelhafter Koch, er kommt auch aus einer Familie, in der es keine schlechten Esser gibt. Keine. Basta. Also beschlossen wir, unseren Sohn zu einem guten Esser zu machen. Bis jetzt hatten wir damit Erfolg, aber ich habe auch herausgefunden, wie das mit dem schlecht-Essen Ding hätte laufen können. Als er anfing, das Gleiche zu essen wie wir, gab es oft Dinge, die ihm offensichtlich nicht schmeckten. Er ließ alle Zwiebeln auf seinem Teller liegen, er aß die Paprikaschale nicht mit, er mochte keinen Spargel. Und ich fing an, in Panik zu geraten: "Oh, er mag keine Zwiebeln!" Aber ich hörte nicht auf, ihm Zwiebeln zu essen zu geben. Außerdem versuchten wir, ihm alle Lebensmittel zu geben, die wir uns nur vorstellen konnten, weil ich gelesen hatte, dass alle Kinder zwischen 3 und 8 Jahren heikel mit dem Essen werden. Und genau im Laufe des letzten Jahres hat er angefangen zu sagen, er möge dieses oder jenes nicht und würde es nicht essen. Das hat sich sogar noch etwas verstärkt, seit er im Kindergarten zu Mittag isst, weil es dort eigentlich nur deutsche Hausmannskost gibt. Und Spaghetti bolognese. Aber da wir ihm immer mit: "Wenn du möchtest kannst du gerne hungrig bleiben." antworten, isst er einfach. Manchmal isst er seine Kartoffeln nicht, manchmal isst er das Fleisch nicht, manchmal isst er zuerst das ganze Fleisch und will noch mehr haben, manchmal isst er nur Kartoffeln... Alles in allem ist seine Ernährung ziemlich ausgewogen. Manchmal isst er nur ein oder zwei Bissen, manchmal isst er mehr als ich. Offensichtlich sind seine Bedürfnisse nicht konstant.

Wenn wir im Restaurant essen, bekommt er auch etwas von uns ab. Er kann sich vielleicht aussuchen, was er haben möchte, aber er kann sich kein bestimmtes Gericht aussuchen. Wir müssen für ihn nichts extra bestellen, weil Restaurantportionen sowieso immer zu groß sind und er nicht besonders viel isst. Mir ist auch aufgefallen, dass ihm andere Leute oft suggerieren, dass bestimmte Dinge für ein Kind nicht passend sind. Etwa: "Was? Du isst FISCH!" oder "Und wenn ihr ins indische Lokal geht, was isst DU dann?" Tja, das Gleiche, das indische Kinder auch essen, würde ich sagen. Wenn es zu scharf ist, bekommt er etwas Joghurt hineingerührt und etwas mehr Reis dazu. Mein Mann und ich sind ein bisschen neidisch auf ihn, weil unsere Kindheit keine Oliven, ausländische Käsesorten oder auch nur chinesisches Essen aufzuweisen hatte. Als wir Kinder waren, galten Nudeln und Pizza noch als exotisch.

Man kann natürlich denken, dass ich nur Glück habe und vielleicht stimmt das sogar, aber ich habe daraus nie einen Machtkampf gemacht und ich glaube, dass das entscheidend war. Man könnte auch meinen, dass ich das nicht gemacht hätte, wenn mein Kind untergewichtig wäre, aber das stimmt so nicht. Ich habe letztens herausgefunden, dass mein Kind nach US-Standards bedenklich untergewichtig wäre. Nach deutschen Maßstäben ist er eher leicht, ohne dass man sich sorgen machen müsste. Meine Mutter denkt, er sollte zunehmen, weil man seine Rippen sehen kann. Ich denke, er ist so wie ich und wie mein Schwager, ein dünnes Kind. Nachdem er gesund, aufgeweckt und aktiv ist und sich gut entwickelt, mache ich mir da keine Gedanken.

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