Freitag, September 22, 2006

Meditation

Die eine Sache, die mir im letzten Jahr am meisten geholfen hat, während ich versuchte, Jahrzehnte alte Gewohnheiten zu ändern, ist Meditation. Achtsamkeits-Meditation, um genau zu sein. (Unschönes Wort, ich ziehe eigentlich "mindfulness" vor.) Es ist nicht so, als wäre ich jetzt komplett meditativ und achtsam, eher so, als ob man bei minus Zehn anfängt und dann irgendwann bei Null ankommt.

Ich habe schon immer in meinem Kopf gelebt. Tagträumen, denken, planen, vorstellen, ihr wisst schon, was ich meine. Ich habe mich sogar darauf getrimmt, nie im Moment zu leben. Die Momente fühlten sich langweilig und wenig verheißungsvoll an. Ich lebte gerne im Märchenland. In meinem Kopf. Und zur Uni zu gehen, hat das eher verstärkt. Dort lebt man wieder in seinem Kopf. Nur auf andere Art.

Bitte versteht mich nicht falsch. Ich habe gar nichts gegen das Denken, Planen und Tagträumen, aber es ist wirklich gut, das Leben, das man lebt auch wirklich zu leben und "dort zu sein, wo man sowieso gerade ist", um Jon Kabat-Zinn zu zititeren (und etwas ungenau zu übersetzen). Und Achtsamkeit ist eine unschätzbare Hilfe, sein Leben zu sehen, wie es wirklich ist, und das ist besonders wichtig, wenn man nicht damit zufrieden ist.

Wie also hat jemand wie ich, nervös, fortwährend redend und immer in ihrem Kopf, angefangen, zu meditieren? Zunächst muss ich sagen, dass Meditation und Yoga mich schon mit elf Jahren das erste Mal interessiert haben. Ich las Bücher über Indien und war fasziniert. Und dann habe ich ewig gedacht, dass es eine gute Sache wäre, zu meditieren, nur dass ich niemals so lange hätte still sitzen können. Ich wartete auf eine magische Veränderung, durch die ich eine meditations-fähige Person bekommen würde.

Auf magische Veränderungen habe ich in vielen Bereichen meines Lebens und meiner Persönlichkeit gewartet. Vor ein paar Jahren wurde mir dann klar, dass sie vermutlich niemals kommen würden. So hatte ich also die Wahl, all meine großen Träume zu begraben (ein Wahl, die viele Mütter treffen), oder mich für einen Weg zu entscheiden, der in Richtung dieser Träume führt, egal unter welchen Umständen. Ich entschied mich für Letzteres.

Ich las

"Ben and Birdy"
und dort auf "Everyday Blessings" stieß, dann gesucht habe, ob es das auch als eBook gibt und dann nur "Coming to our senses" finden konnte, kaufte ich es und nahm es mit, als ich meine Eltern besuchte. Dann beschloss ich, zu meditieren anzufangen. Ich kaufte mir eine Reihe Meditations-CDs, weil ich nicht sicher war, ob ich das alleine hinkriege. Ich nahm mir vor, jeden Tag zu meditieren. Später kaufte ich dann noch andere Meditations-CDs, weil sie eine geführte Meditation versprachen, die nur zehn Minuten dauern sollte. Zehn Minuten hörte sich wie ein Zeitrahmen an, den ich jeden Tag aufbringen kann.

Also habe ich mich seit eineinhalb Jahren fast jeden Tag für mindestens zehn Minuten hingesetzt. Um mich authentischer und meditativer zu fühlen, habe ich sogar meinen Mann gebeten, mir zu Weihnachten ein Meditationskissen zu schenken. Aber bis dahin habe ich auf einem Stuhl gesessen.

Meinem neuen Leitsatz folgend, "Du musst es nicht richtig machen, sondern nur irgendwie." habe ich mich nach dem Frühstück und der Hausarbeit auf meinen Stuhl (oder mein Kissen) gesetzt. Hinter eine verschlossene Tür. Manchmal mit einem Kind, das laut heulend an der Türklinke rüttelt und lauter Rockmusik aus dem Zimmer nebenan. Ich habe oft gedacht, ich mache es nicht richtig und dass ich einfach aufhören sollte. In den letzten Wochen habe ich meinen Tagesablauf so geändert, dass ich jetzt meditiere, bevor die anderen aufwachen. Aber ich versuche es immer noch jeden Tag. Einen Tag ist es ätzend und ich denke die ganze Zeit an Blog-Einträge oder unsere Finanzen oder sonst etwas, oft läutet am Ende die Glocke und ich habe das Gefühl, meine Zeit verschwendet zu haben, aber tief drinnen weiß ich, dass jedes Mal, wenn ich mit meinen Gedanken da sitze, besser für mich ist, als all das unachtsame Tun, das unsere Tage so sehr bestimmt.

An manchen Tagen ist es himmlisch. Mein Hirn leert sich für ganze Mikrosekunden. Danach fühle ich mich euphorisch. Als ich einer Freundin davon erzählte, fragte sie: "Und was hast du davon?" Und ich: "Was? Sollte ich dabei ein Ziel haben?" Natürlich habe ich mit der Hoffnung angefangen, ruhiger, zentrierter, geduldiger und zufriedener zu werden. Aber ich mache damit weiter, weil es wie eine Auszeit ist, ein Schritt zurück, eine Zeit, in der ich mich selbst spüre und nur bin. Das kann sehr befreiend sein. Manchmal ist es anstrengend, oft klappt es nicht besonders gut, aber ab und zu fühle ich mich mit dem ganzen Universum verbunden. Und dann ist es das alles wert.

Und ich bin ganz sicher, dass das der Grund für meine momentanen Fortschritte ist. Achtsam sein, in der Stille sein und einen Schritt von meinem Leben zurücktreten ist sehr hilfreich für das Verändern alter unbewusster Gewohnheiten. Aber wenn mich jemand fragt, warum ich so viel abgenommen habe, bin ich immer noch so schüchtern, um zu sagen: "Ich habe genug geschlafen und zu meditieren angefangen."

Aber wie Musik muss man es um seiner selbst willen tun. Es funktioniert nicht wie ein "Sofortiger Gewichtsverlust durch Meditations"-Hype. Man muss einfach versuchen, jeden Tag ein bisschen still zu sitzen. Sich auf das Sein konzentrieren, auf das Atmen und seinen Körper. Die Zeit findet sich leicht. Kein Problem, man nimmt einfach zehn Minuten von seiner Fernsehsucht.

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