Sonntag, Juli 16, 2006

Die Hochzeit meiner Schwester und ich (Teil 1)

Ich weiß, ich schulde euch einen Bericht. Ja, meine Schwester hat geheiratet, und ja, ich war da. Es war sehr schön und unerwartet harmonisch und rührend. Seitdem (und auch schon unterwegs im Zug) habe ich versucht, einen offenen Brief an meine Schwester zu schreiben oder ein paar tiefsinnige Gedanken zum Thema Hochzeit von mir zu geben, aber es hat nicht geklappt. Deshalb gibt es hier jetzt in gewohnter ausschweifender Manier einen Bericht, wie ich die Hochzeit meiner Schwester erlebt habe.

(Liebe Schwester, wenn du selber etwas dazu schreiben möchtest, kannst du es mir mailen und ich stelle es hier ein.)

Ich bin also vor etwa zehn Tagen in Richtung Norden gefahren, das Packen hat länger gedauert als ich wollte, aber kurz genug, dass ich noch Sport machen und mich einsingen konnte. Dann wurde mir erst so richtig klar, was sich in meinem Leben durch die Ankunft des Kindes verändert hat, ich konnte nämlich ganz lässig mit einem kleinen und einem großen Rucksack zur S-Bahn gehen, auf dem Bahnsteig lesen, mir am Bahnhof ein Croissant kaufen, ich musste keinen Buggy rumwuchten, niemanden davon abhalten, irgendwo draufzuklettern oder sich vom Bahnsteig zu stürzen, ich hatte keine Debatten darüber, ob man seine Füße auf den Sitz tun oder unter denselben kriechen darf. Und fast zwei Tage lang hat niemand an meiner Hose gezogen und "Mama, Mama, Mama." gerufen. Wow!

Zug fahren war wunderbar, der Zug halb leer (keine Fussball-Fans!), ich hatte im Ruhe-Bereich gebucht, etwas, dass ich mit Kind nicht wage, und es war tatsächlich ruhig. (Ruhebereich ist die Zone, in der man nicht telefonieren darf. Ja, so etwas gibt es auch.)

Ich wurde wider Erwarten von meinem Schwager in spe abgeholt, was ich aber auch ganz nett fand, das erhöhte nämlich die Zahl der Gespräche, die ich mit ihm geführt habe, drastisch. Wir fuhren in die Wohnung meiner Schwester, wo schon alle auf mich warteten. Das dachte ich zumindest, aber dann saßen wir einfach relativ lange rum. Dummerweise esse ich für gewöhnlich um sieben zu Abend und es war schon halb acht.

Schon diesen Abend verbrachte die ganze Hochzeitsgesellschaft gemeinsam: die Eltern der Braut und des Bräutigams, die je eine Schwester der Braut und des Bräutigams, ein Freund von ihm und zwei Freundinnen von ihr, was dann auch die Trauzeugen einschloss.

Einen kurzen Moment der Panik erlebte ich, als es hieß, das für mich reservierte Zimmer wäre nicht mehr reserviert. Das hatte sich dann allerdings als Fehlalarm herausgestellt. Die Zimmer waren nett.

Wir aßen und tranken recht deftige deutsche Hausmannskost, ich hatte zum Beispiel Rinderfilet mit Bratkartoffeln und grünen Bohnen. Rindfleisch aus eigener Zucht, hervorragend. Leider war der Service etwas überfordert und ein Teil unserer Bestellung wurde verwechselt und manche Getränke kamen dann erst nach mehrfacher Aufforderung. Interessanterweise war ich die erste, die aufstand, um ins Bett zu gehen. Zum Teil war das wohl auch darauf zurückzuführen, dass jeder darauf gewartet hat, wer nun dieses Essen bezahlt. Ein Polterabend gehört ja nicht direkt zur Hochzeit. Ich meinte also zu meinem Vater, es würde doch wohl jeder selber zahlen, was er großzügigerweise mit einer Handbewegung vom Tisch wischte.

Ich war auch die Einzige, die meine Schwester fragte, wann wir denn in der Pension losfahren müssten, um pünktlich bei ihr zu sein, damit wir dann alle gemeinsam zur Trauung fahren konnten. Da merkte ich wieder, wie eingefleischt Familien-Angewohnheiten sind. Meine Schwester sagte, eine Viertelstunde vorher, der Bräutigam meinte, zwanzig Minuten und als meine Mutter sich zu mir umdrehte, um noch einmal nachzufragen, sagte ich wie aus der Pistole geschossen "Eine halbe Stunde vorher, Mama." Meine Schwester und mein Vater, die den gesamten Wechsel verfolgt hatten, zuckten beide mit keiner Wimper. Ihr könnt es euch schon denken, meine Mutter ist nicht für ihre Pünktlichkeit bekannt. Wir waren übrigens am nächsten Morgen auch die letzten.

(wird fortgesetzt)

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